Impuls zum 23. Mai 2021
Von Gerold König (Langerwehe), pax christi-Bundesvorsitzender
Gott zeigt Gesicht
Die Idee und den Titel dieses Impulses, der mich sehr inspiriert hat, verdanke ich dem früheren Geistlichen Beirat der deutschen pax christi-Sektion Christoph Stender. Denn er formuliert diesen Satz „Gott zeigt Gesicht“ bei seinem Impuls zur letzten Vollversammlung des ZdK (Zentralkomitee der deutschen Katholiken).
Viele von uns sitzen täglich vor den Bildschirmen ihrer Computer in Videokonferenzen. Gesichter erscheinen in Kachelform auf dem Bildschirm. Die Technik ermöglicht es uns, 25 Gesichter gleichzeitig auf dem Bildschirm zu sehen.
Schauen wir uns die 25 Kacheln dieses Bildschirms einmal genauer an:
Seht, ein Mensch! Jede Kachel ist ein Gesicht, hinter jedem Gesicht steht ein Mensch. Jedes Gesicht ist anders: nachdenklich, verbissen, lächelnd, ermutigend, abweisend, gelangweilt, sprachlos, staunend, bewundernd, ablehnend, zuversichtlich, konzentriert. Setzt die Reihe der Beobachtungen einfach fort. Jedes Gesicht ist anders, keines gleicht dem anderen. Durch die Nähe der Gesichter auf dem Bildschirm kommen wir den Gesichtern nahe. Durch die Technik nahegebracht. Sie sind da, sie sind dabei. Trotz der bildlichen Nähe fehlt uns die emotionale Nähe.
Es sind und bleiben Bilder, bewegliche Bilder.
Aber, wie fing alles an? Johannes schreibt…
Im Uranfang war ER, das Wort
Und ER, das Wort, war bei Gott
Und Gott war ER, das Wort
Johannes beschreibt den Anfang gesichtslos. ER ist das Wort – und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.
Und dann zeigt Gott Gesicht:
„Und dies sei Euch das Zeichen: Ein Neugeborenes werdet ihr finden, das gewickelt ist
und in einem Futtertrog liegt“ (Lukas)
Gott zeigt Gesicht!
Immer wieder zeigt er dann Gesicht. Die Menschen erkennen ihn an seinem Gesicht.
Er heilt, er räumt auf, er predigt, er resümiert, er hat Angst.
Er zeigt Gesicht – nicht in dem sich verstellt, er zeigt SEIN Gesicht.
Auch am Ende bleibt er sich treu, er trägt das Kreuz, er leidet, er schwitzt. Veronika reicht ihm ein Tuch, er wischt nicht über sein Gesicht, er drückt sein Gesicht hinein, er zeigt Gesicht. Er hinterlässt einen Eindruck, er hinterlässt sein Gesicht.
Dann Tod und Auferstehung.
Das Gesicht schwindet, er hat uns sein Gesicht gezeigt und eine Botschaft hinterlassen – was folgt ist das Wort und das Wort ist ER.
Er zeigt sich den Jüngern und sie erkennen ihn nicht, sie spüren, dass er da ist und hören sein Wort und das Wort ist ER.
Er geht wieder (fährt in den Himmel auf) verschwunden, weg, gesichtslos.
Doch es bleibt das Wort, ER.
Wir hören es in allen Sprachen der Welt, in einem WeltSprachenWirrwarr. Jede in ihrer Sprache, vermischt mit anderen Worten, anderen Gedanken, vermischt, verwaschen, verdreht, verkorkst, unverständlich, wirr, konfus, deutend, erklärend, wissend, befehlend, verurteilend, lobend, bittend, flehend, betend. Das Wort, ER, vermischt im WeltSprachenWirrwarr.
Sortieren wir:
Im Uranfang war er, das Wort
Gott zeigt Gesicht
Und Gott war ER, das Wort.
Pfingsten
Aus dem Evangelium nach Johannes (Joh. 20, 18-22)
Als es nun aber Abend war an jenem ersten Wochentag - und die Türen dort, wo die Jünger waren, aus Furcht vor den Juden verriegelt - kam Jesus, trat in die Runde und sagte zu ihnen: Friede Euch! Und als er dies gesprochen hatte, zeigte er Ihnen die Hände und die Seite. Jetzt erkannten sie ihn und freuten sich, den Herrn zu treffen. Nun sprach Jesus zu ihnen abermals: Friede Euch! Wie der Vater mich gesandt hat, so schicke ich auch ich Euch. Und als er das gesprochen hat, hauchte er sie an und sagte zu ihnen: Empfanget den hl. Geist! Welchen ihr die Sünden nachlasst, denen sind sie nachgelassen, welchen ihr sie behaltet, denen sind si behalten.
Gedanken
Durch die verriegelten Türen kam er zu ihnen. Nicht an seinem Gesicht erkannten sie ihn. Sie sahen seine Wundmale und hörten seine Worte: Friede Euch!
Und dennoch zeigt sich auch hier: Gott zeigt Gesicht!
Indem er seine Botschaft weitergibt, in dem er jede in ihrer/seiner Sprache reden lässt, im Wirrwarr der Sprachen entsteht das Verstehen.
Die Jünger haben keine Angst mehr und machen sich verständlich in allen Sprachen, damit jede*r verstehen kann. Wer Ohren hat zu hören, der höre!
Kommen wir zurück zu den Kacheln auf dem Bildschirm. Die Gesichter blicken uns stumm an. Wir zeigen Gesicht. Jedes Gesicht ist anders. Es wird erst deutlich und klar, wenn wir etwas sagen, Stellung beziehen, Gesicht zeigen. Dann löst sich die Kachel auf und wird zu einem Gesicht, welches wahrgenommen wird.
Durch uns – und das müssen wir uns immer wieder deutlich machen – durch unser Wort, durch unser Handeln zeigen wir Gesicht.
Und manchmal – daran glaube ich – zeigt sich Gott auch in unseren Gesichtern!
Und dann, ja dann stimmt der Satz von Erich Fried:
„Für die Welt bist du irgendjemand, aber für irgendjemanden bist du die Welt!“
Lied
Ich will dich so, wie Du bist,
mit dem Gesicht, dass Du mir zeigst, denn ich weiß jedes mal: Das bist DU!
Ich will Dich so wie Du bist,
in den Momenten, die du mit mir teilst, und diese Augenblicke tausche ich mit niemandem auf der Welt,
denn das bist DU!
Gib dich mir zu erkennen,
wenn du auf mich wartest, denn ich brauche dich mehr als die ganze Welt
Wir bitten
gib uns Deinen Geist – hauch ihn uns ein – damit wir hören und sehen, was um uns herum passiert
gib uns Deinen Geist – hauch ihn uns ein – damit wir Gesicht zeigen, überall dort, wo wir gebraucht werden
gib uns Deinen Geist – hauch ihn uns ein – damit wir uns selbst erkennen mit unseren Stärken und Schwächen
gib uns Deinen Geist – hauch ihn uns ein – damit wir das Wirrwarr entwirren können, Klarheit schaffen, dort wo Unklarheit und Vertuschung ist
gib uns Deinen Geist – hauch ihn uns ein – damit wir Dein Gesicht erkennen im Wort und wissen, dass DU bei uns bist, immer und überall
Gib uns Deinen Geist – hauch ihn uns ein – damit wir Frieden finden in dieser unfriedlichen Welt, damit wir Gesicht zeigen können und eintreten für den Frieden, den Du der Welt gebracht hast
gib uns Deinen Geist – hauch ihn uns ein – damit auch die verstehen, die Verständnislos sind, die den Glauben verloren haben, die Enttäuschung, Versagen und Gewalt erfahren mussten.
Gib uns Deinen Geist – hauch ihn uns ein – damit wir die Gesichter und damit die Geschichten derer immer präsent haben, die Du schon zu Dir gerufen hast, damit wir die Gewissheit haben, dass sie bei Dir sind, Dich an Deinem Wort erkannt haben.
Im Uranfang war er, das Wort
Gott zeigt Gesicht
Und Gott war ER, das Wort.
Pfingsten
Lied
Komm Heiliger Geist, der Leben schafft.
Erfülle uns mit Deiner Kraft
Dein Schöpferwort rief uns zum Sein:
Nun Hauch uns Gottes Odem ein.
Dich sendet Gottes Allmacht aus
Im Feuer und im Sturmesbraus
Du öffnest uns den stummen Mund
Und machst der Welt die Wahrheit kund.
Die Macht des Bösen banne weit
Schenk Deinen Frieden allezeit
Erhalte uns auf rechter Bahn
Dass Unheil uns nicht schaden kann
Vater unser
Gott zeigt Gesicht
in dem Gebet, welches Christen auf der ganzen Welt vereint, in dem Gebet, das jede in seiner / ihrer Sprache sprechen kann, dessen Wortklang uns immer wieder vereint,
in diesem Gebet sprechen wir IHN direkt an:
Vater unser im Himmel,
wir dürfen Dich Vater / Mutter nennen – wir sind Dir vertraut, anvertraut
geheiligt werden Dein Name.
Dein Name sei uns Dein Wort. Du gibst es uns
Es ist uns heilig
Dein Reich komme.
Wir sehen uns so danach: einem Leben in Frieden, in Gerechtigkeit für alle. Einem Reich, in dem wir überall Gesicht zeigen dürfen, wo Menschen sich respektieren
Dein Wille geschehe
wie im Himmel, so auf Erden.
Nicht: Hilf mir, meinen Willen durchzusetzen – nein, Dein Wille geschehe! Das ist manchmal schwer auszuhalten.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Wir sind so satt! Satt, weil wir alles haben. Brot ist uns nicht genug. Gib uns unser tägliches Brot in den Gesichtern der Menschen, damit wir uns sattsehen können. In Deinem Wort – denn das bist DU
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
Was bedeutet das? Es geht uns so leicht von den Lippen. Heißt es nicht, Deine Freiheit hört da auf, wo die Freiheit des anderen beginnt? Oder handle so, wie du behandelt werden möchtest.
Und führ uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Die kleinen und großen Versuchungen liegen überall: im Versuch, nicht einzutreten gegen Verletzungen, die anderen zugefügt werden – jetzt nicht später! Wir wollen Gesicht zeigen und aufstehen!
Denn Dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit
in Ewigkeit
Damit ist alles gesagt! Du bist unsere Kraft, du bist unser Wort – und immer wieder: Du zeigst uns Dein Gesicht – in jedem von uns!
Amen
Eine kleine Geschichte zum Schluss
Gott zeigt Gesicht – manchmal im Einfachen und Unscheinbaren
Rabbi Israel Baal Schem Tow unterrichtete seine Schüler, als sie vom Klopfen an die Fensterscheibe gestört wurden. Ein armer Bauer, der seinen Wagen voller Werkzeuge geladen hatte, schaute durch das Fenster. „Habt ihr etwas zu reparieren?“ rief er. „Wacklige Tische, zerbrochene Stühle? Einen lockeren Ziegel am Herd?“
„Nein, Nein“ riefen die Schüler ungeduldig, denn sie wollten den Unterricht möglichst schnell fortsetzen. „Alles ist einwandfrei, es gibt nichts zu reparieren!“
„Wirklich nicht?“ fragte der Bauer. „Das ist unmöglich. Schaut genau nach – ihr findet bestimmt etwas, was repariert werden muss!“
Daraufhin sagte der Rabbi Israel zu seinen Schülern:
„Wie oft habe ich Euch gesagt, dass es in Gottes Welt keinen Zufall gibt? Jedes Ereignis und jede Erfahrung hat einen Sinn, und alles, was wir hören und sehen ist eine Lektion für unseren Dienst am Allmächtigen. Denkt an die Worte, die wir soeben von dem Bauern gehört haben. Sind sie nicht von tiefgreifender Bedeutung für jeden einzelnen von uns? Ist alles so vollkommen hier? Manchmal mag es so aussehen, aber, wenn wir unser Herz aufrichtig erforschen und unser Leben prüfen, ist es dann nicht gewiss, dass wir etwas finden, was der Reparatur bedarf?
(chassidische Erzählungen)
So segne uns
an diesem Pfingstfest,
dass uns die Augen
und Ohren geöffnet hat,
dass uns den Geist eingehaucht hat,
dass und das Wort gegeben hat,
dass uns Gesichter gezeigt hat und uns die
Gewissheit gegeben hat, dass ER bei uns ist
Im Namen des Vaters,
des Sohnes und
des heiligen Geistes
Amen
So geht hin, zeigt Gesicht, in Frieden!